
Blaue Welt vs. Rote Welt
Warum komplexe Probleme ganz schön kompliziert sein können
Sowohl in unserem privaten Alltag, als auch im Arbeitsleben, sind wir fast täglich mit „Problemen“ konfrontiert, die es zu lösen gilt. Offensichtlich scheinen diejenigen Individuen oder auch Unternehmen mehr Erfolg zu haben, denen es gelingt ihre „Probleme“ schneller und effektiver zu lösen. Doch was genau verstehen wir unter einem Problem und sind denn auch alle Probleme gleichartig?
Definition Problem
Wikipedia bezeichnet ein Problem, als Aufgabe oder Streitfrage, deren Lösung mit Schwierigkeiten verbunden ist. Oft sind Ausgangssituation, Hindernis und Zielsituation noch relativ leicht festzustellen; der oder die Lösungswege bleiben dabei aber offen und unbestimmt. Um den Fokus auf Probleme aus dem Wirtschaftsleben zu legen, kann ein Problem auch als nicht gelöste Aufgabe oder das Nichteintreten vom gewünschten Zustand angesehen werden.
Eine sehr treffende Definition bietet der Stuttgarter Systemtheoretiker Dr. Gerhard Wohland, indem er Probleme als nicht ignorierbare Reize versteht. Versucht man so einen Reiz trotzdem zu ignorieren, so wird dieser früher oder später Schaden anrichten (s. Denkzettel). Diese Probleme können somit nicht selektiv gehandhabt werden, der Umgang mit Ihnen ist obligatorisch.
Problem ist keine Herausforderung
Bei der Suche nach tragfähigen Definitionen für Probleme stoßen wir oft auch auf begriffliche Abwandlungen, die häufig aber eine Verharmlosung oder Verkehrung der Begriffslage mit sich führen. Nehmen wir zum Beispiel den Begriff „Herausforderung“ als Alternative zum Problembegriff. Dieser ist zwar deutlich positiver besetzt, spiegelt aber leider auch nur einen einseitigen Kontext wieder.
Können Individuen und Unternehmen an der Meisterung von Herausforderungen wachsen, so entstehen diesen beim Scheitern nicht zwangsläufig Nachteile oder Schäden. Auch müssen nicht alle Herausforderungen angenommen werden und so kann man im Umkehrschluss feststellen, daß nicht alle Herausforderungen Probleme sind, allerdings alle Probleme Herausforderungen mit sich bringen.
Komplizierte Probleme
Bleiben wir gedanklich bei Dr. Wohland, so entstehen Probleme zudem auf zwei unterschiedlichen Ebenen, in zwei völlig unterschiedlichen Welten: einer komplizierten blauen Welt und einer komplexen roten Welt. Die blaue und komplizierte Welt kennen Unternehmen in der Regel ganz genau und verfügen über eine breite Palette an Methoden und Werkzeugen um dieser Art von Problemen effektiv zu begegnen.
Beispielsweise ist eine Toleranzabweichung im Fertigungsschritt zwar ein kompliziertes Problem aus der blauen Welt, es gibt aber eine ganz bestimmte und nachvollziehbare Ursache für diese Abweichung. Die Ursache ist bekannt oder kann ermittelt werden (Ishikawa), das Fehlerbild ist wiederholbar, ja oft sogar vorhersehbar und es kann umfangreiches Wissens über diesen Fertigungsschritt und über die verwendeten Werkzeuge abgerufen werden.
Mit Hilfe von Regeln und Anweisungen kann dann der fehlerhafte Prozess problemfrei eingesteuert werden, denn sie sagen uns konkret was zu tun ist und die erlernten Maßnahmen gelten auch in Zukunft bei der Problemlösung.
Komplexe Probleme
Völlig anders verhällt es sich bei den komplexen Problemen aus der roten Welt. Diese sind geprägt von einer hohen Dynamik, Unsicherheiten und Überraschungen. Sie sind jedesmal anders und treten ganz unverhofft auf. Sie lassen sich auch nicht durch Werkzeuge, Prozesse oder Regeln steuern oder lösen. Auch das Lernen und Aneignen von neuem Wissen (intern oder extern) hilft hier nicht wesentlich weiter.Oder wie würden Sie beispielsweise die Aufgabe angehen, innerhalb eines Jahres aus Ihren Kunden Fans machen zu müssen?
Um diesen Problemstellungen effektiv begegnen zu können, muss ein Umdenken stattfinden. Hier gilt es nicht mehr nach dem „Wie?“ der Löusngsfindung zu fragen sondern vielmehr nach dem „Wer?“. Wer kann gute Ideen und Ansätze zur Lösungsfindung beisteuern? Wer kann sich in diesem Spannungsfeld besser und schneller zurechtfinden und teilweise auch experimentell Lösungen anbieten, die darüberhinaus schnell und iterativ verworfen oder bestätigt werden? Helfen also starre und statische Regeln und Anweisungen nicht mehr weiter, müssen diese durch etwas ersetzt werden.
Gut geeignet dafür sind Werte und Prinzipien, die einen offenen, ja teilweise auch wertungsfreien Handlungsraum erschaffen. Dieser Handlungsraum ist begrenzt durch das, was erreicht werden soll oder vermieden werden muss, erlaubt aber immer auch einen Interpretationsspielraum. Er gibt allerdings nicht vor, wie dies zu errechen ist und stigmatisiert Irrtümer auch nicht als Fehler oder Versagen. Lösungen für dynamische und komplexe Probleme können nur durch kreatives und selbständiges Denken gefunden werden, durch werte- und prinzipgeleitete Führung.
Fazit
Echte Probleme in der realen Welt sind aber nicht immer nur blau oder immer nur rot, meist sind diese irgendwo dazwischen. Sie besitzen sowohl „blaue“ Anteile als auch „rote“ Elemente. Es empfiehlt sich also durchaus auch weiterhin die bekannten Anweisungen, Regeln und Checklisten für die bekannten „blauen“ Anteile der Problemstellung zu verwenden. Diese ebnen zum Teil erheblich den Weg zu einer tragbaren Lösung und haben sich in der Vergangenheit durchaus als effektive Werkzeuge etabliert.
Für den unbekannten „roten“ Teil sollte aber unbedingt eine Strategie vorliegen, die es allen Beteiligten ermöglicht, nach eigenen Kompetenzen zu handeln und die eigenen Stärken in den Problemlösungsprozess mit einzubringen. Der dabei erlaubte Handlungsrahmen ist allen bekannt und wird nur durch Werte und Prinzipien begrenzt. Erfolg erfordert somit nicht nur Methodenkompetenzen sondern auch ausgeprägte und lösungsorientierte Denkmuster und Denkwerkzeuge.